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Mentale Wirkungsfelder

 

von Hartwig Knack

 

Von der Figuration her komme sie, erzählt die aus Ungarn stammende Erzsebet Nagy Saar (SAAR). Ihren Wunsch, realistisch gut zeichnen und malen zu können, erfüllte sie sich im Rahmen der künstlerischen Ausbildung bei Ludwig Baranyai, einem Schüler und späterem langjährigen Assistenten Ernst Fuchs‘ an der Akademie der bildenden Künste in Wien. Im Jahr 2015 jedoch hängt SAAR schließlich die feinen Haarpinsel, Öllasuren und Eitempera zugunsten von Acrylfarben, Spachteln, breiten Pinseln und Besen an den Nagel.

 

Für die Ausstellung in der Galerie AMART hat die Künstlerin fast ausschließlich Werke ausgewählt, die in der wesentliche Bereiche des Lebens einengenden Pandemiezeit entstanden sind. Wilde Leinwände, die dem Informel nahe stehen und sensible Malereien auf Velourspapier, deren Motive sich in der optischen Wahrnehmung zwischen Glanz und Mattheit bewegen.

 

 

Innen und Außen

 

Die meist großformatigen Acrylbilder der neuen Serie „Inner Spaces“ erzählen von Freiheit und von Emotionen, die sich – losgelöst vom Gegenstand – Bahn brechen um ungeahnte Räume zu eröffnen. In der Zeit der Corona-Pandemie hat der Freiheitsbegriff für SAAR eine neue Dimension erlangt. „Alles muss raus aus dem Inneren.“, beschreibt die Künstlerin ihre Situation mit dem Verweis auf den Blick durch das Fenster ihres Ateliers in das weite Blau des Himmels.

 

Die ausladenden kräftigen Pinselhiebe und mit anderen Werkzeugen gestisch gesetzten Strukturen drängen mal von links, mal von rechts ins Bild hinein oder aus ihm hinaus. Ohne stringente Konzeption und planerische Überlegungen, oftmals aber mittels zahlreicher Farbschichten, die reliefartige Oberflächen entstehen lassen, entwickelt SAAR intuitiv ihre machtvolle Formensprache, die allzu leicht als Berge oder bewegte Wasseroberflächen missinterpretiert werden kann. Es seien schlicht Formen ihres inneren Erlebens – innere Landschaften gleichsam – hält die Künstlerin im Gespräch fest. Vielleicht jedoch spielen bei der Motivwahl auch unbewusst Erinnerungen, der Blick zurück in die Landschaften Nepals, Buthans und Chinas, Länder, die die Künstlerin intensiv bereiste oder auch Thailands, wo sie fast vier Jahre lang lebte, eine Rolle? Sich zuspitzende politische Unruhen in Bangkok und die Sehnsucht nach mitteleuropäischer Kultur, Kunst und Ausstellungen führen SAAR 2012 schließlich wieder nach Wien zurück, um ihre Arbeit jenseits von Einflüssen thailändischer Bronzefiguren weiterzuentwickeln, die dort den öffentlichen Raum prägen und im Haus der Familie, bei der die Malerin wohnte, allgegenwärtig waren.

 

 

Inneren Gefühlen Raum geben, Formloses in Form bringen und als persönliche Wahrheiten auf die Leinwand ins Außen übertragen ist SAARs künstlerische Devise. Beispielhaft für dieses Prinzip kann die als Raute angelegte Arbeit mit dem Titel „Shape“ stehen. SAAR bringt informelle und geometrische Strukturen zusammen, bezieht sich mit dieser besonders extremen Rautenform auf die „Shaped Canvases“ des US-amerikanischen Malers Kenneth Noland, und versucht ihre inneren Landschaften mit parallelen Linienverläufen in einer äußeren geometrischen Form zu fassen. Auf diesem Weg stellt sie eine Dualität zwischen Innen- und Außenform her, die auch für viele andere Arbeiten der Künstlerin gilt. Ein Appell an uns Kunstinteressierte vielleicht, Zugänge zu unserer individuellen inneren Natur zu suchen, um äußere Veränderungen besser einordnen zu können. Inneres Empfinden bleibt häufig verborgen, weil es von äußeren Zwängen und Konventionen beeinflusst und unterdrückt wird. Und doch ist es für die Ausprägung von Charakter und Individualität essenziell, stets die Auseinandersetzung mit äußeren gesellschaftlichen Gegebenheiten zu suchen.

 

 

Farbe, Schwarz und Weiß

 

 

Bis zu zehn Schichten Farbe können nötig sein, um zum gewünschten Ergebnis zu gelangen, erwähnt SAAR im Gespräch. Die Künstlerin legt Farbebenen an, verdeckt und macht zugleich sichtbar, wenn sie Partien auf der Leinwand freilässt oder Einblicke in tiefer liegende Schichten gewährt. Das Gemälde „Outrenoir“ weist einen solchen pastosen Farbauftrag auf und lässt schon durch den französischen Titel eine Hommage an Pierre Soulages vermuten. Soulages, französischer Künstler und Vertreter einer abstrakt-ungegenständlichen Malerei, hat zeit seines Lebens fast ausschließlich die Farbe Schwarz verwendet. Durch die dick aufgetragene Farbe erzielt SAAR unterschiedliche Nuancen der Farbe Schwarz. Mal glänzend, mal stumpf, mal belebt oder mal flächig zeigt sich die leicht reliefierte Bildoberfläche. Quasi als Gegenüber finden wir Bilder der schon angesprochenen Serie „Inner Spaces“, in denen Weiß als dominante Farbe auftritt. Weiß als Verkörperung reiner Energie, Licht und absoluter Stille oder als Materialisierung des Seins fügt sich nahtlos in SAARs Ideenwelt ein.

 

Neben grün-, blau-, gelb- oder rotdominanten Bildern zeigen auch die schwarzen und weißen Arbeiten eine besonders sensible Farbpalette. Je nach eingenommener Perspektive und Lichteinfall ändern sich die Oberflächen in Farbigkeit und Struktur. Es eröffnen sich Farbspektren, die überraschen. Für SAAR transportieren Farben selten symbolische Aussagen, sie stellen auch keine Metaphern dar, sondern sind ein simples Medium, mit dem die Künstlerin ihr sinnliches Erleben ausdrücken kann.

 

 

Velours

 

Die kleinformatigen quadratischen Arbeiten auf Velourspapier sind auf Holz kaschiert. Das Pastose der großen Leinwände tritt hier zugunsten feiner differenzierter Farbverläufe zurück, die der weichen samtartigen Beschaffenheit des Papiers geschuldet sind. Mit stark verdünnten Acrylfarben erarbeitet sich SAAR ihre ungegenständlichen Motive, die schimmernde Oberfläche wechselt zwischen Glanz und Mattheit. Was im ersten Augenblick vielleicht recht simpel anmuten mag ist jedoch das Ergebnis langen Experimentierens. Der gezielte malerische Auftrag auf den kurzen und dichten Flor des Velourspapiers ist nicht einfach zu handhaben, erfordert viel Erfahrung und lässt keine Fehler zu. Korrekturen wie ein Übermalen sind nur schwer möglich.

 

Ob in ihren größten Leinwänden, die sich über eine Länge von bis zu zehn Metern erstrecken, oder in den kleinen Papierarbeiten, SAAR lässt uns teilhaben an ihrem Denken, Fühlen und unbewussten Handeln, das durch ihre Malerei nach außen drängt. Sie legt einen kleinen Teil ihres Innersten, ihrer inneren Landschaften und Emotionen vor uns hin und lädt uns ein, die grenzenlose Erlebniswelt einer spannenden Künstlerin aus individuellen Perspektiven heraus zu ergründen.

 

HARTWIG KNACK

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