Eröffnungsrede von Roman Grabner in der Rondell Gallery 2023
Ich begrüße Sie zu dieser Ausstellungseröffnung.
Die rhetorische Reise durch die Rondell Gallery, weiß ich nicht, ob ich da hinkommen werde, aber ich werde versuchen, einen Kontext zu geben oder ein paar Traditionslinien zu spinnen zu den Arbeiten der beiden KünstlerInnen, zu Gottfried Leitner und Erzsebet Nagy Saar. Die könnten unterschiedlicher nicht sein. Und man fragt sich natürlich, warum kombiniert man zwei Künstlerpersönlichkeiten in einer Ausstellung, die so heterogene Zugänge zum klassischen Format des Tafelbildes haben.
Völlig unterschiedliche Traditionslinien, völlig unterschiedliche Zugänge, völlig unterschiedliche Darstellungen natürlich auch. Und man könnte jetzt vielleicht vermuten, ja, die Kuratoren, welche die Ausstellung ausgewählt haben und gehängt haben, legen es auf die sogenannte Dialektik des Sehens an. Das heißt, gerade durch diese Unterschiedlichkeit wird der Blick geschärft, wird von der abstrakten Bildweltschau auf eine realistische Bildwelt gelenkt. Das sind andere Gedanken, andere Assoziationen. Das wägt sich einfach bei der Kunstbetrachtung ab. Also, stellt vertraute Sehgewohnheiten in Frage oder bricht etwas auf, was wir als gegeben vielleicht angenommen haben. Und dann kann man sich natürlich diese beiden Stile anschauen und versuchen sie historisch zu betrachten. Und deshalb bin ich auch hier, als Kunsthistoriker und muss ihnen die Geschichte auswalken. Und dann steht man mehr oder weniger vor diesem großen Spannungsfeld, dass eigentlich die Kunstgeschichte, zumindest seit den 50er Jahren auch, in fast schon erbitterten Kämpfen ausgefochten hat.
Das sind diese Traditionsthemen einerseits einer figurativen Darstellung, des sogenannten Realismus, und andererseits einer informellen, abstrakt-expressionistischen Darstellung. Und ich erwähne ganz kurz jetzt so ein bisschen die Vorgeschichte, damit man das vielleicht ein wenig besser einordnen und verstehen kann. Das war die sogenannte Nachkriegsavantgarde und nach 1945 gab es zwei wesentliche Strömungen in der bildenden Kunst ganz allgemein und vor allem auch in der Malerei. Und die eine hat einfach mit der figurativen Malerei fortgesetzt, also dort wo die Zensur des Nationalsozialismus mehr oder weniger aufgehört hat. Das war teilweise wirklich so eine expressionistische Herangehensweise, teilweise aber auch surreale Tendenzen und teilweise war es ein bisschen Dada und eine gewisse Form von Realismus, wie man ihn aus den 30er Jahren gekannt hat, etwas Klassizistisches.
Und dann gab es die andere Richtlinie, die andere künstlerische Bewegung, die gesagt hat, man kann den Menschen eigentlich nicht mehr darstellen. Das, was damals passiert ist, das verunmöglicht jegliche Darstellung eines Menschenbildes. Adorno war der Philosoph, der mehr oder weniger damals die Basis dafür gelegt hat, der gesagt hat, man kann nach Auschwitz kein Gedicht mehr schreiben. Und es ist dann fortgesetzt, man kann nach Auschwitz eigentlich keinen Menschen mehr darstellen. Das geht nicht. Es ist einfach zu viel passiert, dass den Menschen als des Menschen Wolf gezeigt hat. Und trotzdem gab es unter den Künstlern, aber jetzt, das ist ein langer Diskurs, das geht über zehn Jahre erbitterte Argumentationen, wirklich, ein Diskurs, wie man den heute fast schon vermissen würde, wo beide Seiten das Für und Wider dargebracht haben, warum es sehr wohl notwendig ist, realistisch zu malen und den Menschen sehr wohl wieder ins Bild zu rücken. Weil es hat sehr viel mit dem Glauben an das Humanistische im Menschen natürlich zu tun. Und natürlich gab es auch gute Argumente für diese expressive, für diese abstrakte Malerei, die eine völlig andere Darstellung gebracht hat. In dieser Ausstellung sehen Sie jetzt diese beiden Traditionsklingen. Und Sie sehen das mit diesem Bezug, wie stelle ich jetzt mehr oder weniger auch bis zu einem gewissen Grad Wirklichkeit dar. Damals war immer der Diskurs, wie das abstrakt-expressionistische, wo ist jetzt mein Gegenwartsbezug, wo ist jetzt der Bezug zu meiner Lebensumwelt. Und dann haben Kunsthistoriker versucht das herzuleiten und haben mikroskopische Aufnahmen hergenommen, haben in Mineralien reingezoomt, haben Pflanzen näher betrachtet und haben gesagt, ja, aber das Abstrakte war immer da, das stimmt natürlich, es hat uns von Anfang an umgeben, aber der Blick war ein anderer plötzlich.
Und es ist genau der Blick und das Sehen, das diese beiden Künstlerpersönlichkeiten in dieser Ausstellung auch ausmacht. Es ist diese, ich sage mal diese Ambivalenz oder diese zwei Pole, wie nähere ich mich einer Wirklichkeit an und welche Wirklichkeit meine ich damit. Na ja, man kann sich jetzt auf das Paul Klee Zitat berufen, Kunst gibt nicht das Sichtbare wieder, sondern macht sichtbar. Oder Caspar David Friedrich hat einst gesagt, es geht nicht nur darum, das Bild zu sehen, was man vor den Augen hat, sondern man muss auch das Bild mehr oder weniger darstellen, dieses innere Bild, das man in sich drinnen hat. Und genau das ist bis zu einem gewissen Grad der Pol.
Die Künstlerin Saar nähert sich mehr oder weniger einer Wirklichkeit aus einer inneren Perspektive, wenn ich das so formulieren darf. Die Bilder heißen teilweise „Inner Spaces“ oder „Senses“. Es geht um einen ganz anderen Zugang zur Wirklichkeitserfahrung, ich möchte es jetzt bewusst so nennen, weil es eben nicht mehr der Abbildcharakter ist. Es geht nicht darum, wie früher, dass ich aus dem Fenster schaue und ich gebe jetzt irgendeine Realität wieder, wie immer auch die aussehen mag, und versuche die mehr oder weniger abzubilden oder darzustellen, sondern es ist bis zu einem gewissen Grad, es ist das, was sich in einem drinnen abspielt, bei der Betrachtung dieser Wirklichkeit. Es sind die inneren Bilder, die verbunden sind mit Lebenserfahrungen, mit Stimmungen, teilweise auch durchaus Atmosphären, die sich eben in dieser außerbildlichen Wirklichkeit abspielen. Das heißt, bei ihr kommt das, was Caspar David Friedrich gemeint hat, zu tragen, diese inneren Bilder. Das ist jetzt mal die Ausgangsphase. Das heißt jetzt nicht, wenn sie glücklich ist, malt sie mit diesen Farben, wenn sie, traurig ist, mit anderen. So ist das nicht zu simplifizieren, sondern es geht darum eine Basis zu schaffen für diesen Wirklichkeitsbezug. Und dann kommt bei ihr natürlich ganz, ganz wesentlich zu tragen, was macht jetzt mein Malmaterial eigentlich mit der Leinwand? Wie trage ich das auf? Welche Strukturen entstehen? Welche Effekte entstehen? Wie kann ich Stimmungen erzeugen? Wie kann ich auch Räume erzeugen? Welche Räume kreiere ich mehr oder weniger mit unterschiedlichen Schichten? Das heißt, die Arbeit, die Sie hier in der Ausstellung sehen, schöpft aus dieser Tradition, seit den 50er Jahren. Einerseits der Farbräume, wie baue ich einen Farbraum auf? Ist das wolkig, lege ich unterschiedliche Schichten übereinander... arbeite ich mit Farben, die in den Vordergrund drängen, die sich in den Hintergrund zurückziehen. Wie baue ich das auf? Also das ist ganz bewusst ein Aufbau von Farben, weil ich zum Beispiel hier sehe, die Farbräume, wie hier unten bei dem großen Bild, das den Namen Senses hat, wo man natürlich sofort Naturbezüge vermuten kann, die aber völlig ohne Naturbezug entstanden sind. Wo es wirklich um Stimmung geht, was Atmosphärisches, das wolkige, das eingebaut wird, wenn Sie an Mark Rothko denken als Vorläufer, sind wirklich wolkige Farbräume, die sie auf tun.
Trotzdem gibt es dann, und das ist das Wesen hier, und das ist auch so schwer zu vermitteln, jeder Künstler, jede Künstlerin weiß, was ein Bild braucht. Das klingt jetzt blöd, aber man weiß, da muss noch ein Strich rein, da muss eine Geste rein, da fehlt noch etwas. Das ist nicht zu verbalisieren, das ist eine Intuition, die aus der Erfahrung herauskommt, das Bild braucht noch was, da muss noch eine Schicht drüber, das muss noch einmal ausgekratzt werden, da muss noch eine gestische Handschrift rein. Und genau das zeichnet mehr oder weniger diese Bilder aus, dass eben all das verkörpert. Die sind teilweise fast in meditativer Ruhe, diese Farbräume. Teilweise zeigen sie eine gewisse Dynamik, eine gewisse Bewegung. Die Bilder da oben links hinter mir, da geht es mehr oder weniger wirklich darum, wie schreibt sich jetzt auch ein Körper, eine Körperspur der Künstler, die Künstlerin in dieses Bild ein. Jeder Strich, mehr oder weniger jeder Pinselstrich, ist natürlich auch immer eine Spur, ein Zeugnis von einem Dagewesen sein der Künstler. Die künstlerische Lebenszeit manifestiert sich natürlich auch in diesem Bild. Jedes Bild ist zum gewissen Grad auch immer Speicher von dieser Lebenszeit. Und hier sieht man aber auch eine andere Zeit, die Zeit der Entstehung. Nicht nur mehr oder weniger die Lebenszeit, sondern durch diese Geste können Sie auch mal die Geschwindigkeit erahnen, wie schnell die Bilder entstanden sind, welche Bewegung sie ausgeführt haben muss, welche Dynamik dahinter steht, welche Geschwindigkeit auch dahinter steht.
Das heißt jede Annäherung ist mehr oder weniger aus dieser Tradition der 50er, 60er Jahre zu kommen und mit dem Vokabular, mit dem Repertoire, das damals entwickelt worden ist, eben Bilder zu kreieren, die innere Räume kreieren, also die Inner Spaces, egal ob die jetzt aus Pandemie-Erfahrungen herauskommen oder aus anderen Lebenswirklichkeiten herauskommen. Gleichzeitig ist es aber immer eine Auseinandersetzung mit dem, was Malerei leisten kann, an Textur, Oberflächen, Faktur oder wie auch immer. Also diese spezifisch haptischen Strukturen, diese feinen Nuancen, wo jedes Detail für die Künstlerin wichtig ist, die mehr oder weniger das gesamte Bild in diese Qualität erhöhen.
Der Gottfried Leitner hat einen ganz anderen Zugang. Er hat auch abstrakte Bilder geschaffen. Er hat sich auch mit diesen Farbräumen eines Mark Rothko auseinandergesetzt. Aber er hat dann die Figur, die menschliche Figur eingefügt und hat von dieser menschlichen Figur auch nicht abgelassen. Der Mensch ist für ihn ein zentrales, nicht nur Bildmotiv, sondern generell ein zentrales Thema. All seine Bilder, die Sie in der Ausstellung sehen, variieren mehr oder weniger den Menschen. Aber wie stellen Sie ihn dar? Er ist nicht nur realistisch, benutzt nicht nur diese Malweise, die eine ungemeine Perfektion und eine Handwerklichkeit zeigt, wo es um gewisse Stimmungen geht, sondern er schöpft nicht nur, sagen wir mal, den Fotorealismus wie in der amerikanischen Kunst der 70er Jahre aus, wo ich jetzt ein Medienbild habe oder ein schönes Autofoto und ich arbeite dann monatelang daran herum, dass das einfach genauso perfekt ausschaut wie die Fotografie, um eine gewisse Form von Konkurrenz zu zeigen oder zu zeigen, als Maler können wir das ja dennoch, was die Fotografie vorgibt. Um das geht es gar nicht. Es geht nicht um einen Wettbewerb mit anderen Bildmedien, sondern es geht um eine spezifische Darstellung, die nur in der Malerei möglich ist. Denn in der Malerei kann ich die Wirklichkeit auch so wiedergeben, dass ein Mehrwert reinkommt. Etwas das gegeben ist und dennoch nicht gegeben ist, was aber in der Malerei dann sichtbar wird. Das heißt er komponiert seine Bilder ganz genau, greift mitunter schon einmal auf das eine oder andere Medienbild zurück, aber es sind Inszenierungen die teilweise mit der Kamera im Urlaub, in der Außenwelt entstehen teilweise auch im Atelier ganz genau konstruiert werden, das sind Kompositionen, die er dann malerisch umsetzt. Es geht um ganz spezifische Stimmungen. Stimmungen, wie sie abstrakt in den Bildern von Saar sind, wie sie realistisch oder aber auch, wenn man es jetzt in der sprachlichen Ebene sucht, abstrakt sich auch widerspiegeln, in den Stimmungen die sich mit dem Raumempfinden entwickeln, mit den Räumen die er kreiert, wiederspiegeln. Das heißt, da ist ganz viel Vermeer, da ist ganz viel Caravaggio drin, Sie sehen diese Lichtdramaturgie, Sie sehen eigentlich immer ein Beleuchtungslicht und all diese Figuren haben eine merkwürdige Verinnerlichung. Die schauen nicht irgendwo hin, die blicken nicht auf irgendetwas Dramatisches, auf einen Sonnenuntergang. Hier sehen Sie die beiden einmal direkt vor der Wand stehen, einmal mal ins Leere stehen. Die junge Frau hinter mir hat die Augen zu, ist völlig verinnerlicht auch. Man könnte jetzt sagen, naja, vielleicht sieht diese Dame als inneres Bild genau das, was daneben hängt. Vielleicht ist das der Dialog, vielleicht ist das das Wechselspiel in der Ausstellung. Aber es ist eine ungemeine Melancholie, die in diesen Bildern mitschwingt, die eben aus dieser Tradition kommt und es ist eben nicht nur das Abbildhafte, die Mimesis, die Kunst einfach etwas realistisch wiederzugeben. Sondern es ist die Kunst mit diesen realistischen Mitteln, die kann man ja erlernen, dann Stimmungen zu erzeugen, die berühren, die emotional mehr oder weniger berühren. Und dann kann ich mir Themen aussuchen, die vielleicht eine gewisse Themenstellung haben, die vielleicht politisch ist, die vielleicht poetisch ist, ich kann über die Melancholie reflektieren. Es gibt oben zwei Arbeiten, die sich stark mit der Flüchtlingsproblematik auseinandersetzen. Diese Figur, die sich unter dieser Zeltplane mehr oder weniger eine neue Behausung sucht, kann über prekäre Umstände plötzlich reden. Die Frau, die mehr oder weniger auf dem Boden diese Haare gleiten lässt und plötzlich löst sich der Boden auf. Da ist eine Munch’sche Geste drinnen, kann man fast sagen. Die Räume würde ich mir sowieso ganz genau anschauen, weil sie sind teilweise sehr indifferent. Sie sind nicht klar ausformuliert, man sieht mitunter schon die Holzplanken vom Atelier, und dennoch passiert da mehr. Oder er arbeitet ganz bewusst mit Brüchen. Sie haben oben ein Bild von einem jungen Mann, dessen Gesicht quasi abgeschnitten ist, er hat den Kopf quasi sprichwörtlich in den Wolken, hält aber den Totenschädel in der Hand. Das ist ein klassisches Memento Mori-Motiv, mit aber dieser spirituellen Dimension, also dem Blick nach oben, dem Blick in einen wie auch immer gearteten Himmel. Das heißt, er scheut sich dann auch nicht davor zurück, mit gewissen Metaphern zu arbeiten, mit einer gewissen Symbolik zu arbeiten, die er ganz gezielt einsetzt.
Das heißt, beide Künstlerpersönlichkeiten in dieser Ausstellung schöpfen aus dieser Kunsttradition, wie sie sich seit den 50er Jahren ausgebildet hat. Gottfried Leitner greift noch viel länger zurück. Auf Caravaggio, auf Vermeer, also wirklich auf das Barock, wo diese Lichtdramaturgie mehr oder weniger dann stattfindet. Das könnte man bei der Saar natürlich auch sagen, wenn ich mir einen späten Tizian ansehe, habe ich ebenso diese informellen Gesten drinnen, in der Kleiderdarstellung, aber das würde hier zu weit führen.Beide setzen sich mit einer Form von Wirklichkeit auseinander, und beide haben einen spezifischen Blick. Und das ist das Entscheidende für diese Stimmungen, für die Atmosphäre, die sind in ihren Bildern kreieren. In diesem Sinne, lassen Sie sich berühren und danken für Ihre Aufmerksamkeit.